Sein erster und einziger Titel mit Fragezeichen ist eine Kriminalgeschichte und unterschreitet von der Länge her alle anderen Romane. Vargas Llosa kehrt als Erzähler zu seiner Jugendstadt Piura zurück und knüpft an den dort spielenden zweiten Roman Das Grüne Haus an, indem er Figuren daraus wieder auftreten lässt: den Polizisten Lituma, dessen Freunde ‚Die Unbezwingbaren‘ und die Puffmutter Chunga. Hatte der Autor in seinen vorangehenden Büchern Tante Julia und der Kuntsschreiber und Maytas Geschichte die Grenzen der Fiktion metaliterarisch, sozusagen vertikal, überschritten, greift er nun intertextuell–horizontal aus. Dieser Zug verlängert sich, wenn Lituma und die Chunga Protagonisten weiterer Werke (Tod in den Anden bzw. La Chunga) werden, bevor Lituma im Spätwerk noch einmal eine Rolle spielt (Der diskrete Held); eine gleichnamige Nebenfigur hatte es im übrigen in der frühen Erzählung Der Verräter schon gegeben.

Musikalische statt politischer Utopie

Die Handlung beginnt mit der Leiche eines grausam ermordeten Gitarristen und Sängers, der in die Tochter eines Oberst verliebt war, und endet mit der Aufklärung des Verbrechens, an die jedoch die Allgemeinheit nicht glaubt; im letzteren Aspekt spiegeln sich vermutlich Vargas Llosas Erfahrungen bei seiner Untersuchung eines Massakers in den Aden wider.1 Liebesverstrickungen und Mord im militärischen Umfeld, Vertuschung durch die Offiziellen, Scheitern und Strafversetzung der Wahrheitssuchenden und somit Zirkularität sind bekannte Themen im bisherigen Werk Vargas Llosas – das der Musik ist dagegen neu und es wird in den Romanen seiner zweiten Lebenshälfte wichtiger. Das mag damit zusammenhängen, dass die Musik, namentlich der vals peruano, zu taugen scheint als – ästhetische – Alternative zur politischen Utopie, von welcher sich der einstige Marxist losgesagt hat: Sie ist es, die gesellschaftliche Barrieren aufzuheben vermag. In dem Prosastück wird dies an einer Stelle angesprochen:

Wie im Halbschlaf sah er wieder und wieder das glückliche Paar vor sich, das seine vorehelichen Flitterwochen in den bescheidenen Gassen von Amotape genoss: er, ein kleiner Mischling, ein Cholo aus dem Castilla-Viertel; sie, eine kleine Weiße aus guter Familie. Liebe kennt keine Grenzen, heißt es im Walzer. In diesem Fall hatte er recht gehabt; die Liebe hatte soziale und rassische Vorurteile, hatte den ökonomischen Graben überwunden. (S. 112)

Zwar strebt die Liebe über Sperren hinweg, jedoch kommt sie in Vargas Llosas Erzählungen dabei nicht weit, man denke an die Flirts in Die Stadt und die Hunde oder Die Jungen Hunde. Nur „im Walzer“, musikalisch vermittelt, fallen die sozialen Schranken zumindest zeitweise. Der arme Palomino kann mit seinem Klängen ein Mädchen aus besseren Kreisen für sich gewinnen und sogar Soldaten erweichen, bevor die Eifersucht eines Nebenbuhlers und der Dünkel des Vaters ihm zum Verhängnis werden. Die Unerbittlichkeit der Gesellschaftsordnung wird in den Worten des Oberst sinnfällig, wenn dieser apodiktisch erklärt: „Sie hat sich nicht in ihn verliebt, sie konnte sich gar nicht in ihn verlieben“ (S. 172). In späteren Werken wie Die Enthüllung begegnen Ausnahmezustände der Klassenlosigkeit im Medium der Musik wieder.

Musik und Liebe erscheinen also als Wegbereiter idealer Verhältnisse, doch kommen beiden auch in niedrigen Spielarten vor: zum einen die Geilheit von Litumas Vorgesetzten Leutnant Silva auf die Schankwirtin Doña Adriana, die mit der Romantik des jungen Paars kontrastiert, zum anderen ein kitschiges Radiolied und die Stimme eines Sprechers „gleich einem ratternden Maschinengewehr“ (S. 153) sowie hässliche Geräusche („wildes Geschrei einer Eselin […] ‚Sie wird gefickt‘, dachte Lituma“, S. 98). Während die reine Liebe nicht direkt dargestellt wird, sondern hauptsächlich durch die Litumans Vorstellungen vermittelt erscheint, äußern sich Silvas Wolllust und Adrianas Zurückweisung explizit, häufig in derben Scherzen. Der Humor, in der Kathedrale oder Tante Julia und der Kunstschreiber Katalysator echter Liebe, hat er hier seinen ideellen Wert wieder verloren.

Um das hohe und niedere Begehren gegenüberzustellen und aufeinander zu beziehen, bedient sich der Autor einmal mehr seiner Montagetechnik. Neu an seiner alternierenden Darstellungsweise ist, dass Dialoge – zwischen Silva und dessen Gesprächspartnern – aus der Warte eines rezeptiven Dritten, nämlich Lituma, mitsamt seiner Gedanken dazu wiedergegeben werden. Noch vielschichtiger wird die Situation, wenn der Dialogpartner, wie die Wirtin im Dorf Amotape, wiederum eine frühere Unterhaltung erzählen soll. In die Unterhaltungen mischen sich überdies akustische Reize von außen ein wie etwa das erwähnte Eselsgeschrei, das Dröhnen eines Flugzeugs (S. 46), das Heulen einer Sirene (S. 86), das Trällern eines Betrunkenen (S. 141), das Bellen eines Hundes (164) usw. 2

Das Ganze geht jedoch zulasten der psychologischen Wahrscheinlichkeit, ähnlich wie in der frühen symbolisch endenden Erzählung Der jüngere Bruder. So zeigt das Verhalten der Hauptmannstochter nach dem Tod ihres Geliebten nichts vom Schmerz, den sie empfinden müsste, und ähnlich verwunderlich ist, dass der autoritäre Vater unter dem Pantoffel dieses Mädchen zu stehen scheint. Erklären ließe sich dies zwar durch die Persönlichkeitsstörungen, von denen die Rede ist, doch mindert das nicht den befremdlichen Leseeindruck. Wenig fühlbar ist auch Litumas Mitleid mit Palomino und sein Erschrecken über den Mord, obwohl es behauptet wird. So ist Wer hat Palomino Molero umgebracht? eher eine Parabel als eine psychologische Erzählung über das Spannungsverhältnis von gesellschaftlichem Zwang und subjektiven Begehren.

Gleichwohl ist die Geschichte kein kühl komponiertes Stück, sondern eng mit Erlebnissen des Autors verbunden. Man merkt das den eindrücklichen Ortsbeschreibungen an, wie etwa gegen Ende des Buchs:

Sie schwiegen eine Weile und hörten dem sanften Geplätscher des Meeres zu. Es gab keinen Wellenschlag, aber es herrschte starke Dünung. Der Mond erhellte die Nacht so sehr, dass man klar und deutlich den Umriss der Häuser der Gringos und der höheren Angestellten der International oben auf dem Felskapp sehen konnte, neben dem blinkenden Leuchtturm, und die Steilhänge des Felsvorsprungs, der die Bucht abschloss. Alle erzählen Wunder vom Mond in Paita, aber ganz sicher war dieser Mond hier der rundeste und hellste, den Lituma jemals gesehen hatte. Man müsste eher vom Mond in Talara reden. Er stellte sich den Jungen vor in einer Nacht wie dieser, wie er an diesem Strand sang, umgebenen von Soldaten, die ihm bewegt zuhörten:

Mond, kleiner Mond,

mit deinen Schellenglocken

geh, sag meinem Liebchen,

sie soll ihr Herz mir schenken …

Das Liedzitat ist ein Kontrapunkt zur oben erwähnten Radioschnulze, von der zwei Zeilen wiedergegeben werden („Schau, diese Bürschlein, dort in der Eckeeee…. / die keinen Blick mir gönnen wolleeen…“, S. 150). Die Szene am Wasser erinnert zugleich an Vargas Llosas Kindheitsverse, in denen er, damals in Piura lebend, die Dämmerung am Meer beschreibt. Noch persönlicher ist die Parallele zwischen Palomino, der mit seiner Geliebten in ein Provinzdorf flieht, um sie zu heiraten, und Vargas Llosas eigenem Streich, sich als Minderjähriger in einem Kaff bei Lima hinter dem Rücken seiner Familie mit seiner Quasi-Tante trauen zu lassen.

  1. Vargas Llosa leitete eine Kommission, die die Ermrodung von acht Journalisten in Uchuraccay aufklären sollte, lieferte dabei aber nicht (von Teilen der Öffentlichkeit erwartete) Beweise für die Mitschuld des Militärs. ↩︎
  2. Vgl. Keith M. Taggart: La tecnica del contrapuncto en ¿Quien mató a Palomino Molino?. In: Mario Vargas Llosa. Opera omnia, hrsg. von Ana Maria Hernandez de López. 1995, S. 151-158. ↩︎